Klingt lustig, wenn ein Tennisprofi so etwas sagen würde, oder? Wir Reiter dagegen geben unserem Pferd häufig die Schuld für alles Mögliche, manchmal sagen wir es laut – sie will heute wieder gar nicht vorwärts, sie ist sooooo steif (man selbst ist nach 9 h im Buero natürlich flexibel wie ein Yoga Guru) und manchmal denken wir es uns (wieso lässt mich dieses Pferd immer so schlecht aussehen obwohl ich so eine brillante, gefühlvolle Reiterin bin). Unser geschätzter Sportpartner ist ein Wesen aus Fleisch und Blut und performt tatsächlich nicht konsistent auf Topniveau (so wie wir).
Als Reiterin eines von PSSM betroffenen Pferdes, ist man mit dieser Frage (wer ist gerade das Problem – Reiterin oder Pferd) sehr oft konfrontiert. Man weiß, wie es sich anfühlen sollte und es fühlt sich (fast) nie so an. Man bleibt immer hinter den eigenen Erwartungen und fragt sich wieso man andere Pferde besser reitet als das eigene. Wieso dauern Ausbildungsschritte 10x so lange wie bei anderen Pferden (die man auch selbst ausgebildet hat)?
Es ist eine große Herausforderung über einen Zeitraum von mehreren Jahren, dem eigenen Gefühl zu trauen und die Suche nach Ursachen und Therapiemöglichkeiten weiterzuverfolgen. Bei Lola wechselten die Lahmheiten häufig und waren von unten nur für das geschulte (paranoide) Auge zu erkennen was oft von Stallkolleginnen und Trainern als ausgeprägtes Hypochondertum ausgelegt wurde. Wo wir gerade beim Thema Stallkolleginnen sind – ein weiterer Aspekt des schlecht Aussehens beim Reiten ist, dass man pausenlos Ratschläge von allen bekommt:
- Also bei meinem Pferd habe ich das mit dem Angaloppieren hinbekommen als ich mit dem Außenschenkel einen stärkeren Impuls gegeben habe (Techniktips)
- Ihr müsst unbedingt einmal einen Mond/Fell/Supersoft Gurt verwenden (Equipmenttips)
- Seit ich Pro-Superflex-Forte-boost füttere ist mein Pferd soooo durchlässig, das würde euch auch nicht schaden (Fütterungstips)
- Ganz klar, wenn man sein Pferd nicht konsequent mit schrägem Konterschulterherein über eine Stange aufwärmt wird sich auch nichts verbessern (Trainingstips)
- Habt ihr es schon einmal mit 2x täglich Strom Therapie versucht (Therapietips)
- Und mein persönlicher Favorit: ihr solltet dringend mal zu Guru xyz gehen, er/sie kann eure Probleme lösen (die Guru Keule).
Wie geht ihr damit um? Ich bin mir sicher, die Liste lässt sich ewig ausbauen. An den meisten Tagen bedanke ich mich für den Ratschlag und lege ihn geistig in der jeweiligen Kategorie ab, manchmal seufze ich innerlich und beschließe frustriert nur noch zu Zeiten in den Stall zu fahren wo niemand da ist. Dabei bin ich ein Fan von Wissensaustausch und gegenseitigem Weiterhelfen, doch es gibt Tage da fühlt man sich einfach nicht verstanden…
Gib sie doch mal zu einem Profi in Beritt – auch sehr oft gehört und schwer verdaulich besonders in Kombination mit einem Folgesatz wie – er/sie würde ihr die Flausen schon austreiben. Ich war immer überzeugt, dass unser Pferd versucht, alles richtig zu machen und alles zu geben… wenn sie könnte und an guten Tagen konnte man das auch sehen. Sie zu einem/r Ausbildner/in zu geben der/die diese Überzeugung nicht teilt, wäre Lola gegenüber unfair gewesen. Heißt nicht, dass ich nicht selbst auch immer wieder unfair war und z.b. Übungen viel zu oft wiederholt habe in der Hoffnung, dass sie besser würden. Wer ist nun das Problem…
Dass PSSM bzw. ein Pferd, das Tierarztrechnungen im Wert eines Mittelklassewagens produziert, auch Auswirkungen auf das Leben außerhalb vom Stall hat, ist unvermeidlich. Von der älteren Generation (die Pferde noch als Nutztiere auf dem heimatlichen Hof kannten) als völlig umnachtet abgeschrieben bin ich dem Rest meiner Familie sehr dankbar, dass ich ihre Fragen – wie war dein Tag – mit Lola war heute gut/mittel/schlecht/übelst beantworten durfte und alle wussten damit auch über meinen Gemütszustand Bescheid.
Bei allem Frust und Gedanken, die Reiterei an den Nagel zu hängen, gibt es zum Glück auch die Felsen in der Brandung, unser Trainer der mir in jeder einzelnen Trainingseinheit ohne diplomatische Umschweife klar macht, wer das Problem ist (erraten, nicht das Pferd), mein Mann, der Lola und mich annimmt wie wir sind, und natürlich meine Schwester Stef die immer zu uns hält obwohl sie sich sicher das eine oder andere Mal für uns genieren musste.
Erst die Diagnose und der Austausch mit anderen Betroffenen ließen mich meine Ambitionen loslassen und zu einem entspannteren Umgang mit Lolas Höhen, Tiefen und Besonderheiten finden. Ich freue mich, wenn an guten Tagen Dinge gelingen die ich nicht mehr für möglich gehalten hätte. An schlechten Tagen beschließen wir einfach, es an den besseren noch einmal zu versuchen….